Veröffentlicht am
01.07.2022
Autor
Pater Thomas Felder, FSO
Ort
Erschienen in "Kirche heute", Nr.7/Juli 2022

Etwas Neues, Tiefes und Aktuelles

Zum 25. Todestag von Mutter Julia Verhaeghe

Der Heilige Geist ist der Wind, der in die Segel der Kirche bläst und das Schiff Petri durch die Jahrhunderte führt. Dort, wo Gottes Geist wirkt, gibt es keinen Stillstand, wohl aber Tiefgang und Weite. Jesus sagte: „Jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt“ (Mt 13,52). Mutter Julia, die Gründerin der geistlichen Familie „Das Werk“, war von Gott gerufen, um der Kirche etwas Neues, eine neue Gemeinschaft und ein neues Charisma, zu schenken. Sie verstand sich als Werkzeug Jesu. Ihm war sie hingegeben. Ihm diente sie in der Gemeinschaft der Kirche.

 

Mutter Julia Verhaeghe (1910 - 1997)

Mutter Julia

Am 29. August dieses Jahres jährt sich zum 25. Mal ihr Todestag, ihr Heimgang in das Vaterhaus. Sie meinte: „Jene, die in Gott verbunden leben, werden bei ihrem Heimgang aus unserer Mitte weggeholt, aber nicht getrennt, sondern tiefer und inniger miteinander verbunden.“

Mutter Julia erblickte am 11. November 1910 im flämischen Geluwe das Licht der Welt. Sie wuchs in einer katholischen Familie mit vielen Geschwistern auf und erlebte die Nöte des Ersten Weltkrieges und der schwierigen Zwischenkriegsjahre. Früh wurde ihr eine innige Vertrautheit mit Jesus geschenkt. Der Wunsch, Karmelitin zu werden, war ihr wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit verwehrt. Mit 19 Jahren erlitt sie einen Sturz von einer Treppe, der ihre Gesundheit bleibend beeinträchtigte.

1934 nahm Jesus sie in einer mystischen Erfahrung in sein Leiden hinein und lud sie ein, sich ihm in einem „Heiligen Bündnis“ mit seinem gottmenschlichen Herzen zu schenken. 1938 vollzog ihr geistlicher Begleiter, der Priester Arthur Cyriel Hillewaere, ebenso das „Heilige Bündnis“. Dies war am 18. Januar 1938, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Diesen Tag sah Mutter Julia als den Gründungstag des „Werkes“ an.

Bereits am Beginn der Gründung setzte Gott das Zeichen, dass es sich um eine Gemeinschaft von Männern und Frauen handeln sollte, in der das Miteinander für das Reich Gottes bleibend wichtig ist: Das Zueinander von Priestern und gottgeweihten Frauen gehört wesentlich zum „Werk“. Arthur Cyriel Hillewaere verstand sich nie als Gründer oder Mitgründer, sondern als Priester, der Mutter Julia und das junge Charisma im Auftrag der Kirche begleitete.

»Es war mir geschenkt, Mutter Julia über viele Jahre hindurch gekannt zu haben. Sie war eine außerordentliche Frau, die das Außerordentliche nicht suchte.«
Pater Thomas Felder

Mit beiden Füßen am Boden

Mutter Julia zeichnete eine lebendige und dankbare Beziehung zur Kirche als dem mystischen Leib Christi aus. Eine tiefe innere Erkenntnis des Wesens der Kirche wurde ihr durch den hl. Paulus geschenkt, den sie zeitlebens als geistlichen Bruder verehrte. Ihr Blick auf Jesus war zugleich ein Blick auf die Kirche, deren Haupt Christus bleibt. Jesus und die Kirche bildeten für sie eine große und heilige Wirklichkeit. Ihr Herz schlug für die Kirche. 

Sie wusste zunehmend, dass Gott mit ihr etwas Besonderes vorhatte. Er schenkte ihr viele außerordentliche Gnaden. Aber sie blieb immer geerdet. Sie ließ sich nicht dahingehend verführen, das Außerordentliche für sich oder für die Gemeinschaft zu suchen. Sie sagte: „Der Heilige Geist ist uns nicht geschenkt, um immer Neues zu suchen und zu erfinden, Außergewöhnliches zu leisten oder jemand mit außergewöhnlichen Gaben und Talenten sein zu wollen. Die Sendung des Heiligen Geistes besteht darin, uns an alles zu erinnern, was Jesus gesagt hat, und uns die Kraft zu schenken, dies auch zu tun.“

Eucharistie im Fokus

Für Mutter Julia war klar, dass sie ihren Beitrag zur Erneuerung der Kirche zu leisten hatte. Sie fand den Mut, sich auf das zu fokussieren, was der Herr von ihr erwartete. Nicht nur die Breite darf das Ziel der Gemeinschaft sein, sondern vor allem die Tiefe. In die Tiefe aber kann nur jener gelangen, der sich auf einen Fokus beschränkt.

In die Tiefe vordringen bedeutet auch, die heilige Eucharistie in die Mitte stellen. Mutter Julia war eine Getaufte, die fest an die hl. Wandlung und die Gegenwart Christi in der hl. Kommunion glaubte. Einige Daten ihres Lebens machen dies deutlich.

Viele Jahre vor ihrem Heimgang, als sie noch gar nicht wusste, wo sie einmal beerdigt werden sollte, formulierte sie einen Spruch für ihren Grabstein. Er lautet: „Gottes barmherzige und gerechte Liebe sucht euch, wacht über euch, wartet auf euch. Geht zu ihr in der heiligen Eucharistie“.

Ein Jahr vor ihrem Heimgang wurde die Klosterkirche in Bregenz, in der sich ihr Grab befindet, auf Wunsch von Bischof Dr. Klaus Küng zu einer Anbetungskirche, in der täglich das Allerheiligste ausgesetzt ist. Wer heute an ihrem Grab betet, den verweist sie durch ihre Grabinschrift auf Jesus in der heiligen Hostie. Ihre Botschaft am Grab lautet: Geht zu Jesus, geht zu seiner Liebe in der heiligen Eucharistie!

Der Höhepunkt eines jeden Tages war für Mutter Julia die Begegnung mit Jesus in der hl. Messe. Sie verstand sich als Braut Christi, die in diesem wunderbaren Sakrament ihrem Bräutigam Jesus begegnet und mit ihm sakramental eins wird. Alle Priester, die ihr während der hl. Messe die Kommunion gereicht haben, konnten unspektakulär, aber deutlich spüren, was das Kommen des Bräutigams in der hl. Kommunion für sie bedeutete. Sehnsucht wurde sichtbar und erfahrbar. Gerne sagte sie: „Das heilige Messopfer ist das Größte, was es auf Erden gibt.“

Die Kraft für ihre Sendung schöpfte sie aus diesem erhabenen Sakrament. Sie bezeugte: „Im hl. Messopfer bin ich ganz ,Werk‘.“ An anderer Stelle sagte sie: „Der eucharistische Herr hat mich ergriffen, begleitet und mit seiner heiligen Nähe genährt.“ Wer Mutter Julia kannte und ihr im Alltag begegnete, der konnte erfahren, dass das Messopfer für sie gleichsam zu einem „Zustand“ geworden war. Sie beging die hl. Eucharistie nicht nur in einer liturgischen Feier, sondern sie lebte sie als Teilhabe am Opfer Christi, als Vereinigung mit seinem erlösenden Leiden und als schenkende Hingabe an seine geliebte Kirche. Es ist wohl kein Zufall, dass Gott sie am 29. August 1997 während der Wandlung in der hl. Messe zu sich heimgerufen hat.

Das Grab von Mutter Julia in der Thalbachkirche, Bregenz

Die christliche Familie

Mutter Julia erkannte früh, dass es im „Werk“ auch einmal Laien und vor allem Familien geben wird, die am Charisma Anteil haben werden, das Gott ihr ins Herz gelegt hat. Sie erkannte, dass das „Werk“ den Auftrag haben würde, als eine Familie Gottes zu leben und Kirche im Kleinen abzubilden. Sie wünschte, dass es zwischen den Mitgliedern und Freunden des „Werkes“ ein unverbrüchliches Band als Familie gebe. Denn daraus, so war ihre feste Überzeugung, würde die Kirche Erneuerung erfahren. 

»Das ,Werk‘ ist von Gott als eine Familie Gottes gewollt! «
Mutter Julia Verhaeghe

Folglich sollen auch Laien – wie die anderen Stände – zur Gemeinschaft gehören. Sie bezeugte: „Die Laien gehören zum ,Werk‘, wie sie zur Kirche als dem mystischen Leib Christi gehören. Dabei stehen Priester, Diakone, Brüder, Schwestern und Laien wie in einem gesunden Organismus in wunderbarer Wechselwirkung. So verherrlichen sie Gott, bezeugen die übernatürliche Schönheit der Kirche und helfen mit, ihre Wunden zu heilen.


Mutter Julia war auch bei den Laien bemüht, in die Tiefe zu gehen. Es ging ihr vor allem darum, einen Familiengeist zu fördern, der ganz in Gott verankert ist. Der Geist ist immer lebendig und will nicht in starre Systeme gepfercht werden. Mutter Julia dachte mit ihrem weiten Herzen nicht an Programme, sondern – so würde man heute sagen – sie dachte in Prozessen. Das, was Gott in die Seelen hineinlegte, sollte sich Schritt für Schritt organisch entfalten und heilsgeschichtlich wachsen.

Mutter Julia wollte für Familien eine Stütze sein.

Nachdem sich Mitte der 1970er Jahre die ersten Familien der Gemeinschaft angeschlossen hatten, schrieb Mutter Julia einem Priester: „Es ist mir eine tiefe Freude, zu sehen, dass sich der Plan Gottes über das ,Werk‘ mehr und mehr verwirklicht, wie ich ihn von Anfang an sehen durfte. Priester und Familien aus verschiedenen Ländern versammeln sich in Einheit im ,Werk‘, um ihre eigene Berufung in einem reinen Glauben zu leben und gemeinsam das Reich Christi aufzubauen.“

Mutter Julia war zeit ihres Lebens ein Mensch, der nicht in Zahlen dachte und der nicht eine möglichst schnelle Ausbreitung wünschte, sondern sie führte Menschen in die Tiefe des Glaubens, der Christusnachfolge, der Umkehr und der Liebe zur Kirche. Sie war sich der Not bewusst, auf die die Kirche und ihre Familien zugehen würden. Sie schrieb 1983: „Es war Aufgabe des ‚Werkes‘, sich für die Wiederherstellung des Lebens als Familie einzusetzen, vor allem durch die Sorge für die junge Generation, die Väter und Mütter von morgen, denen ein wahres Familienleben im christlichen Sinne bereits fremd geworden ist. Von Anfang an war es auch unser Auftrag, unser Apostolat, die Gewissen unserer Zeitgenossen inmitten des Verfalls des Familiengeistes wachzurufen, der durch moderne Ideen und Geistesströmungen aller Art verursacht wurde.“

Hauskirchen

Die Familien des „Werkes“ treffen sich nach Möglichkeit einmal im Monat in kleinen Gruppen, um gemeinsam zu beten und im Glauben und in der Spiritualität des „Werkes“ zu wachsen. Normalerweise sind eine Schwester oder ein Priester bei diesen Treffen dabei. An Festtagen, die der Gemeinschaft besonders wertvoll sind – wie das Herz-Jesu-Fest oder der Sonntag der Heiligen Familie – finden größere Treffen der Laien mit Gottgeweihten statt. Die Familien des „Werkes“ weihen sich dem Herzen Jesu, und ihr Haus oder ihre Wohnung wird gesegnet. Ein Herz-Jesu-Bild findet darin einen zentralen Ort. Je nach den örtlichen Begebenheiten oder je nach der Entfernung zum nächsten Zentrum des „Werkes“ tragen die Laien das Leben der Gemeinschaft mit, etwa durch konkrete praktische Dienste, durch Ratschläge oder durch ihre Expertise.

Ein Mitgliedsbeitrag besteht nicht. Es gilt auf Anweisung von Mutter Julia das urchristliche Prinzip: Jeder möge nach seinem Gewissen geben. Auch bei den Laien ist das Entscheidende der Geist des „Werkes“, der sie immer mehr prägen soll. Es war Mutter Julia bewusst, dass das „Werk“ nicht eine Organisation, sondern eine Familie Gottes und eine Geistesströmung ist. Sauerteig durchsäuert den Teig, und Salz gibt einer Speise Geschmack. Es braucht davon jeweils nicht viel. Aber das Salz darf nicht schal geworden sein, sonst kann es seinen Auftrag nicht mehr erfüllen.

Was Mutter Julia bereits in den 1960er Jahren den Schwestern sagte, gilt auch für Laien und Familien: „Jesus, der Herr, muss stets das Ziel und das Motiv unserer Taten und unseres Denkens sein.“ Mutter Julia schrieb einmal einer jungen Familie, die sich der Gemeinschaft angeschlossen hatte: 

»Wir müssen zusammen die Getreuen Jesu sein, jeder auf seinem Platz und mit den Möglichkeiten, die ihm geschenkt sind, in Treue zur heiligen Lehre unserer Mutter, der heiligen Kirche.«
Mutter Julia Verhaeghe

Zukunftsperspektive
In den Herausforderungen, die Mutter Julia mit der Gemeinschaft erlebte, trug sie die Überzeugung in sich, dass das „Werk“ dem Herzen Jesu entsprungen ist. Sie sagte zwei Jahre vor ihrem Tod: „Ja, wir bauen miteinander für eine Zukunft, die uns nicht gehört und die wir nicht kennen, aber Gott ist in Christus Leiter und Plan des ‚Werkes‘. Die Zukunft gehört ihm.“