09.11.2016
P. Hermann Geissler FSO
Eine geistliche Mutter für uns alle
am 11. November jährt sich ihr Geburtstag
Das Leben aus dem Wort Gottes

Im Jahr 1926 erhielt die 15-jährige Julia von ihrem Kaplan Cyriel Hillewaere ein Schott-Messbuch, in dem die Texte der heiligen Messe in Latein und in Niederländisch abgedruckt waren. Dieses Geschenk bereitete ihr große Freude. Nun konnte sie die Messe besser verstehen. Sie begann, jeden Abend die Lesungen der Messe des darauf folgenden Tages zu betrachten und wurde mehr und mehr mit dem Reichtum des Wortes Gottes erfüllt: „Es war mir, als ob ein Feuer in mich kommen würde!“
Dieses Feuer erfüllte ihr Herz mit Gott, mit seiner Wahrheit, mit seiner Güte, mit seiner Herrlichkeit. Dieses Feuer entzündete in ihr die Liebe zum heiligen Paulus, dem Patron des „Werkes“, und durch Paulus zum Herzen Jesu und zu seinem Leib, der Kirche. Dieses Feuer brannte zeitlebens in ihr. Oft lebte sie wochenlang mit einem einzigen Wort der Heiligen Schrift und gab es ihren geistlichen Söhnen und Töchtern weiter.
Niemand kann anderen Menschen Gott und den Glauben näher bringen, wenn er nicht von diesem inneren Feuer ergriffen ist. Wenn aber dieses Feuer in uns brennt, können wir – wie Mutter Julia – andere Menschen damit anstecken. Geistliche Mütter und geistliche Väter sind zuerst und vor allem Menschen, die voll sind von Gott, von seinem Wort, von seinem Geist; Menschen, die Gottes Wort kennen, lieben und leben.
Der Blick auf das Herz des Erlösers

„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,11). Jesus nahm in dieser Welt den untersten Platz ein. Er wurde in der Armut von Betlehem geboren, er starb wie ein Verbrecher am Kreuz. Er erniedrigte sich, um den Stolz der Menschen zu sühnen, und deshalb wurde er vom Vater erhöht.
Mutter Julia ging diesen Weg des Herrn, den Weg der Demut und der Hingabe. Als sie 1928 wegen einer Blinddarmoperation im Krankenhaus war, blickte sie auf das Kreuz in ihrem Zimmer, sie begegnete dem Blick Jesu und spürte: „Von nun an wird mich der Kalvarienberg die Opferliebe lehren“. Ein Jahr darauf – 1929 – stürzte sie von der Treppe und zog sich schwere Verletzungen an den Rippen zu. Von da an war sie immer krank. Aber sie fiel nicht in das Selbstmitleid. Sie suchte keine eigenen Kreuze, sondern rief dazu auf, die „Kreuzfabriken“ in der Welt zu schließen. Sie wollte immer leben und dienen, in Demut und Opferliebe, auch in den Leiden, die Gott zuließ, und zwar mit dem Blick auf das Herz des Erlösers. So wurde sie innerlich frei von sich selbst und offen für die Pläne des Herrn. So wurde sie vorbereitet, um geistliche Mutter und Gründerin des „Werkes“ zu werden.
Jeder Mensch hat sein Kreuz zu tragen. Wir können es ablehnen, uns dagegen wehren, uns darüber ärgern. Wir können uns aber auch an das Wort Jesu halten: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29). Wenn uns das mit Gottes Hilfe gelingt, werden wir freier von uns selber und offener für die anderen. Solche innerlich freie und verfügbare Menschen können echte geistliche Väter und Mütter werden, weil ihr Herz nicht am eigenen Ich hängt, sondern bei den anderen ist, weil sie bei den Mitmenschen das Schönste, Höchste und Edelste sehen und fördern möchten. Solche Menschen braucht die Kirche dringend – Menschen, die nicht zuerst an sich selber denken, sondern anderen Zeichen der Liebe und des Wohlwollens schenken: ein gutes Wort, einen frohen Blick, eine helfende Hand, ein aufrichtiges Gebet, eine Geste des Dankes.
Die Verbundenheit mit dem eucharistischen Herrn
