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Autor
P. Johannes Nebel FSO

Die Gnadenmutter von Thalbach

Die Gemeinschaft des Klosters Thalbach in Bregenz (Österreich), die aus Mitgliedern der geistlichen Familie „Das Werk“ besteht, schließt die tägliche Vesper ab mit dem Ruf „Maria, Sitz der Weisheit, bitte für uns und mit uns“. Dieser Ruf richtet sich an die Gottesmutter, die dort in einem herrlichen Gnadenbild verehrt wird. Dieses Gnadenbild ist eine über zwei Meter hohe spätromanisch- frühgotische Statue aus Lindenholz und stammt wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert. Sie zeigt Maria, wie sie auf einem Thron sitzt, dabei aber selbst Thron Jesu Christi ist, der als die wahre Weisheit Gottes im Zentrum des Gnadenbildes steht. Maria ist somit „Sedes sapientiae“, „Sitz der Weisheit“.

Ursprünglich hatte die Gnadenmutter von Thalbach ihren Ort in dem nahegelegenen Benediktiner- heute Zisterzienserkloster Mehrerau. Dort bereits wurde das Gnadenbild von den Gläubigen verehrt. 1592 kam es aber von der Mehrerau in die Kirche des Klosters Thalbach. Der Grund war die erfolgreiche Beseitigung einer heimtückischen Seuche unter den Benediktinern der Mehrerau durch die Franziskanerinnen, die damals im Kloster Thalbach lebten. Zum Dank für die tatkräftige Mitsorge der Schwestern im Kampf gegen die Krankheit wollte ihnen der Abt der Mehrerau einen Wunsch erfüllen, und sie wünschten sich das Gnadenbild.
Seitdem ist die Kirche des Klosters Thalbach Wallfahrtskirche. In der Vergangenheit legte eine sehr große Zahl an Votivtäfelchen Zeugnis ab von dem wunderbaren Wirken der Gnadenmutter von Thalbach in allen menschlichen Nöten, Krankheiten und Gefahren. Immer wieder kommen Beter und auch Pilgergruppen mit ihren Anliegen, die sie auch in einem Buch eintragen können oder gemäß einem alten Brauch durch einen Zettel im Innern des Gnadenthrons deponieren lassen können. Der Gnadenmutter werden auch häufig Menschen einfach dadurch anempfohlen, dass man deren Fotos in den Gnadenthron legt. Die Klostergemeinschaft von Thalbach schließt diese Anliegen in ihr tägliches Gebet mit ein.

Die größte historische Bedeutung der Gnadenmutter von Thalbach reicht in eine Zeit zurück, in der sich das Gnadenbild noch in der Mehrerau befand. Dort betete ein junger Bregenzer vor der Gnadenmutter, der spätere Jesuitenpater Jakob Rem. Dies hatte eine Bedeutung für die tiefgehende Marienfrömmigkeit dieses Jesuiten, aus deren Kraft er später zu einem wichtigen Baustein für die Glaubensverbreitung in Deutschland wurde: 1574 gründete Jakob Rem die erste Marianische Kongregation in Deutschland, die durch die Heranbildung gläubiger Christen einen großen erneuernden Einfluss auf das katholische Leben hatte. Damit kann man sagen, dass jenes Gnadenbild, das heute im Kloster Thalbach verehrt wird, gewissermaßen am Ursprung einer weitreichenden Glaubenserneuerung in Deutschland steht.

»Um des Lichtes willen, das in die Welt gekommen ist, ist Maria sozusagen in das Licht Gottes eingehüllt. Sie ist Lichtträgerin und schenkt uns dieses Licht weiter. «

Die historische Bedeutung der Muttergottes von Thalbach lenkt unsere Aufmerksamkeit dem Gnadenbild selbst noch einmal zu. Die Mutter Gottes ist in ein goldenes Gewand gehüllt. Gold ist in der Farbensprache der Entstehungszeit ein Symbol für das himmlische Licht: Um des Lichtes willen, das in die Welt gekommen ist, ist Maria sozusagen in das Licht Gottes eingehüllt. Sie ist Lichtträgerin und schenkt uns dieses Licht weiter. Zugleich bedeutet das Gold im Mittelalter aber auch die Offenbarung des Heiligen Geistes, dessen Braut Maria durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes wurde. Insofern weist das Gold auch auf die gläubige Zustimmung Marias zu Gottes Heilsplan hin so wird das Gold zur Farbe des Glaubens. Das innere Mantelfutter, das an einigen Stellen sichtbar wird, ist aber dunkelrot, als Zeichen der Opferhingabe, die Maria mit ihrem göttlichen Sohn teilte. In ihrer linken Hand hält die Gnadenmutter von Thalbach ein Szepter, das sie aber nur mit zwei Fingern sanft umgreift. Mit den anderen beiden Fingern weist sie hin auf Christus, der als Gottes Weisheit auf ihrem Schoße sitzt. Er hält sein Szepter fest in der Hand; mit seiner anderen Hand macht Er eine Segensgeste.

Diese kleinen Andeutungen der noch viel umfassenderen tiefsinnigen Symbolik dieses Gnadenbildes genügen, um uns Entscheidendes von seiner Botschaft klarzumachen: Maria, die Lichtträgerin und Zeugin des Glaubens, weist uns den Weg zu Christus, der als die göttliche Weisheit uns segnet. Es geht also um Grundelemente des christlichen Heilsweges und zugleich der katholischen Glaubenshaltung. Darin liegen tatsächlich Fundamente jeder wahren Erneuerung des religiösen Lebens.

Wem diese Erneuerung, vor allem für den deutschen Sprachraum, aber nicht minder auch darüber hinaus, am Herzen liegt, den erwartet als inbrünstigen Beter die Gnadenmutter von Thalbach mit ihren deutlich erkennbar geöffneten Ohren.

Erstveröffentlichung in: DER FELS 5/2007